Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4. Juli 2019:

HOAI Mindest- und Höchstsätze sind europarechtswidrig

 

Der Europäische Gerichtshofs (EuGH) hat mit seinem Urteil vom 4. Juli 2019 – Az : Rs. C-377/17 abschließend entschieden, dass die in der HOAI festgelegten Mindest- und Höchstsätze gegen die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen und deshalb europarechtswidrig sind.

 

Leitsatz: „Die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, 2 Buchst. g und Abs. 3 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßen, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. “

 

Der Richterspruch bindet deutsche Behörden und Gerichte allerdings lediglich insoweit, als nur der verbindliche Preisrahmen des § 7 Abs. 1 HOAI ab sofort unanwendbar ist, d.h. die Regelungen zu den Mindest- und Höchstsätzen dürfen faktisch keine Rechtswirkung mehr entfalten. Die HOAI als solches wird durch das EuGH-Urteil im übrigen aber nicht berührt und behält zunächst ihre Gültigkeit. Auch wenn die Meinungen hinsichtlich der Auswirkungen des EuGH-Urteils in der Fachwelt derzeit noch auseinandergehen und die Rechtsfolgen abschließend noch nicht geklärt sind, sollten Architekten und Ingenieure ab sofort folgendes beachten:                                                                                 

 

Das EuGH-Urteil verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat ab sofort, die Regelungen der HOAI zu den Mindest- und Höchstsätzen als zwingend verbindlichen Preisrahmen nicht mehr anzuwenden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat daher die öffentlichen Stellen in Deutschland mit einem Informationsschreiben vom 04.07.2019 (abrufbar im Internet unter www.bak.de/w/files/bak/03berufspraxis/hoai/informationsschreiben-hoai.pdf)) angehalten, ab sofort die für Europa rechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden und daher bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über Architekten- oder Ingenieurleistungen den Zuschlag auf Angebote nicht mehr aufgrund der Tatsache, dass die angebotenen Preise unterhalb der Mindestsätze oder oberhalb der Höchstsätze der HOAI liegen, zu verweigern. Mit entsprechenden Nachprüfungsverfahren sei zu rechnen. Allerdings bleibe es dabei, dass Angebote, die sich im Ergebnis einer Einzelfallprüfung als unauskömmlich erweisen, ausgeschlossen werden könnten.

  • Nachdem derzeit in der Fachwelt bzw. in der Rechtsprechung die Auswirkungen des EuGH-Urteils hinsichtlich der Verbindlichkeit mindestsatzunterschreitender bzw. höchstsatzüberschreitender Honorarvereinbarungen in vor dem 04.07.2019 abgeschlossenen Architekten- und Ingenieurverträgen nicht abschließend geklärt sind, kann derzeit nur angeraten werden, keine Honorarklage über die Honorardifferenz zwischen einem vertraglich vereinbarten mindestsatzunterschreitenden Honorar und dem Mindestsatz der HOAI zu erheben. Ebenso sollte sich umgekehrt ein Auftraggeber genau überlegen, im Prozesswege die Reduzierung eines vertraglich vereinbarten höchstsatzüberschreitenden Honorars auf den Höchstsatz erreichen zu wollen.
  • Nicht abschließend geklärt ist auch die Frage, ob bzw. inwieweit das EuGH-Urteil sich direkt auf Honorarklagen auswirkt, die vor dem Entscheidungszeitpunkt am 04.07.2019 bereits gerichtlich anhängig waren. Als gesichert lässt sich lediglich sagen, dass das EuGH-Urteil jedenfalls auf solche Honorarklagen keine Auswirkungen hat, bei denen die Bindung an die Mindest- bzw. Höchstsätze der HOAI keine Rolle spielt. Bei laufenden Rechtsstreitigkeiten, die eine Bindung an mindestsatzunterschreitende bzw. höchstsatzüberschreitende Honorarvereinbarungen zum Gegenstand haben, bleibt lediglich abzuwarten, welche der bislang hierzu ergangenen gegenteiligen gerichtlichen Entscheidungen sich im Ergebnis durchsetzen wird.
  • Für neu abzuschließende Architekten- und Ingenieurverträge gilt: Nachdem das EuGH-Urteil lediglich die preisrechtlich zwingende Bindung an Mindest- und Höchstsätze der HOAI als europarechtswidrig angesehen hat, ist auch künftig eine Honorarregelung möglich, in der die Parteien etwa für die Honorierung der übertragenen Grundleistungen die Geltung der Bestimmungen der HOAI 2013 vereinbaren - mit Ausnahme der Bestimmungen, die eine preisrechtliche Bindung an die Mindest- und Höchstsätze zwingend vorschreiben.

Die Bundesregierung ist nun aufgefordert, die gesetzlichen Regelungen zu den Mindest- und Höchstsätzen so schnell wie möglich aufzuheben. Wie der Verordnungsgeber dieser Aufforderung nachkommen wird, ist derzeit nicht abzusehen. Die Palette der in Betracht kommenden möglichen Maßnahmen reicht von einer Herausnahme der preisrechtlich zwingenden Mindest- bzw. Höchstsatzregelungen aus der HOAI bis zu einer Reduzierung der „Rest-HOAI“ auf eine bloße unverbindliche Empfehlung oder einer völligen Aufhebung der HOAI. Dementsprechend gehen bisherige Schätzungen davon aus, dass das erforderliche parlamentarische Verfahren sicherlich bis zu einem Jahr dauern dürfte.

 

Aus unserer Sicht ist festzuhalten, dass das aktuelle EuGH-Urteil für die Architekten und Ingenieure grundsätzlich nicht nur nachteilig ist. Sie haben nun vielmehr verstärkt die Möglichkeit, praxisgerechte Honorare und Inhalte zu vereinbaren, die Ihren wirtschaftlichen Interessen als Planer gerecht werden. Dabei wird es künftig allerdings noch mehr als bisher auf eine vollständige und klare Vertragsgestaltung ankommen. Sollten Sie nach Stundensätzen abrechnen, empfehlen wir diese bürospezifisch festlegen. Als unverbindliche Orientierungswerte können folgende Angaben eines unserer Mitglieder dienen:

 

Auftragnehmer                    120 –  160 €

Technischer Mitarbeiter     85 –  115 €

Sonstiger Mitarbeiter           65 –  100 €

 

Alle Werte verstehen sich zuzüglich Mehrwertsteuer und ggf. Fahrt- und Reisekosten/ Geräteeinsatz. Hinsichtlich der aufgrund des EuGH-Urteils erforderlichen Änderungen der HOAI werden wir als Verband Kontakt mit den hierfür zuständigen Ministerien aufnehmen. Hierfür wäre für uns hilfreich zu wissen, welche Inhalte eine zukunftsfeste Honorarordnung neuer Art Ihrer Meinung nach enthalten sollte. Schreiben Sie uns gerne Ihre Ideen und Vorschläge! 

BUNDESINGENIEUR- UND -ARCHITEKTENVERBAND e.V. - BIAV

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